Ein verschollener Brief von Screwtape an Wormwood
(Der englische Autor C.S. Lewis lässt in seinen „Screwtape Letters“ den erfahrenen Teufel Screwtape seinem Neffen Wormwood Briefe mit Ratschlägen schreiben. Diese Predigt ist eine Satire(!) in diesem Stil. Ich mache mich ausschliesslich über die Kirche reformierter Prägung lustig 😉
Mein lieber Wormwood
Wie gehört habe, bist du aufgestiegen und hast auf dem Kontinent eine kleinere Kirche mit einigen Dutzend Gemeinden übernommen, die du begleiten sollst. Ich kenne das Land aus meinen Reisen meiner Jugend. Der Menschenschlag gefällt mir: Obwohl sie in Kultur und Geist im weiten Umkreis einander sehr ähnlich sind, haben sie alle 25km das Gefühl, sie seien etwas ganz besonderes und seien völlig anders als diese anderen Leute 25km weiter. Sie sind misstrauisch gegen jede Hierarchie und neidisch auf jedes grosse Können, wahre Kunst und Führung. Sie lieben das Mittelmass. Weil sie den Tod fürchten und das Alter, hassen sie Neuerungen. Es gibt solche, die zu allem Nein sagen, ohne sagen zu können, was sie eigentlich wollen. Das ist natürlich sehr nützlich. Am liebsten habe ich es, wenn sie nach 30 Jahren der Prüfung eine Neuerung einführen, die dann bereits nicht mehr nützt sondern schadet, was das Gefühl stärkt, man sollte eigentlich nichts erneuern.
Achte darauf, dass sie in der Kirche Wert auf Dinge legen, mit denen die Menschen nicht mehr umgehen können. Lass sie eine Sprache benutzen, die kaum jemand versteht, Musik, die man sonst nicht hört. Gut ist es, wenn sie keine tiefe Freude an der Musik empfinden. Was Du aus der deutschen Philosophie übernehmen kannst, ist, dass man so kompliziert wie möglich reden sollte, um möglichst intelligent und tiefsinnig zu wirken. Wenn Menschen aus der Kirche laufen mit dem Gefühl, das sei jetzt komplett unverständlich aber wahnsinnig gescheit gewesen, haben wir dreifach gewonnen: Die Kirchgänger werden Leute nicht mögen, die intelligenter als sie scheinen. Geistige Arbeit wird trotzdem einen schlechten Ruf haben. Und sie werden keinerlei Trost und Hilfe für den Alltag bekommen. Die meisten Kirchen sind zum Glück fast leer. Achte einfach auf die gefährlichen Warnsignale: Wenn zum Beispiel jemand sagt, er sei nicht abgeschweift, es habe gut getan, oder er habe dazu gelernt.
Eine grosse Hilfe ist uns da die Arbeit unseres Bildungsministeriums, das den Menschen erfolgreich beigebracht hat, Lesen, Schreiben und Rechnen müsse man nicht können. Überhaupt sei Wissen oder sorgfältiges Arbeiten komplett überbewertet. Wichtiger sei Sozial-Kompetenz. Schönes Wort, gell? Kommt aus unserer Marketing-Abteilung. Gebrauche es oft, und mach den Eltern ein schlechtes Gewissen, die so schädliche Dinge verlangen wie: freundlich grüssen, Bitte und Danke sagen, sich an- und abmelden für Anlässe, nicht dreinreden, stillsitzen und eine Ausbildung abschliessen. Bloss nicht! Flüstere den Menschen so lange ein, dass Lernen das reine Vergnügen sein muss, bis sie es aufgeben. Unsere Spionage-Abteilung versucht immer noch heraus zu finden, weshalb der Feind so wild darauf ist, dass die Menschlein lernen. Was hat er davon, das vergrössert doch bloss ihre Freiheit? Wir haben andere Ziele. – Flüstere den Eltern lieber ein, ihr Kind sei ein verkanntes Genie, das so lange wie möglich Kind bleiben sollte. Unser Ziel ist, möglichst viele narzisstische Prinzen und Prinzessinnen zu haben, die den anderen das Leben zur Hölle machen mit ihren Ansprüchen und ihrem Benehmen.
Damit komme ich zurück zu den Kirchen. Wichtig bleibt, dass viel geredet wird. Kann das menschliche Hirn sich Gehörtes doch schlecht merken. Lass sie nicht zu Ergebnissen kommen. Entscheide soll man so lange wie möglich prüfen und vertagen. Was deine Kirche anbelangt, habe ich mir die Akte kommen lassen. Ich bin stolz auf dich, du hast es geschafft: Leute, die klare Aussagen machen und für etwas einstehen, sind Fanatiker. Phrasendrescher sind grosse Denker. Achte übrigens darauf, dass jede Kritik als übertriebene Aggression gilt. Wir brauchen die Strohdrescher, Bedenkenträger, Zeitfresser und Dummschwätzer. – Zerstöre Vertrauen, lass Verantwortliche ihre Meinung mit dem Wetter ändern, sich alle Optionen offen halten. Anspruch und Wirklichkeit sollen weit, möglichst weit auseinander klaffen.
Ich liebe Sitzungen. Sie dienen uns. Je mehr Leute Gemeinden leiten, die Machtkämpfe lieber haben als den Feind, desto besser. Unser Grundsatz für diese Ehrenamtlichen lautet: Sei zuständig für alles und verantwortlich für nichts. Wirklich gefährlich sind die Zeiten, in denen Menschlein sich entspannt treffen. Auch wenn es dir als Kleinkram erscheint: Wieso hat da letztens wieder ein Pfarrer den anderen einfach zu einem schönen Mittagessen mitgenommen? Wieso laden einfache Kirchbürger ihre Pfarrer zum Essen oder zum Zvieri ein? Die Kirchbürger sollten sich gar nicht kennen. Daraus könnten Freundschaften entstehen. Und in Freundschaften gibt es immer so ekelhaft viel Vertrauen, Treue, Mut, Ehrlichkeit und Lachen. – Es schüttelt mich. Lass sie grosse Visionen haben, lass sie über den ganzen Kontinent diskutieren, aber verhindere, dass sie sich regelmässig treffen und kennen lernen. Halte sie in der Vergangenheit oder in der Zukunft fest. Beides so glorreich wie möglich. Aber lass nicht zu, dass sie am einzelnen Tag treu ihre Pflicht tun. Menschlein sollten überhaupt nichts in Ruhe und konzentriert tun. Lass sie flattern.
Wenn es schon gefährlich ist, wenn sie sich entspannt sehen, dann pass davor auf, wenn sie sich einander wirklich ehrlich anvertrauen. Unser-Vater-in-der-Tiefe bewahre uns davor, dass einer dem anderen sein Inneres öffnet und sein Gegenüber sagt: Hab keine Angst, Gott wartet immer auf Dich, entwickle Dich nur weiter, hin zur Liebe zu allem Leben. Wir gehen gemeinsam. – Widerlich, wie es dann plötzlich nach Himmel stinkt. Widerlich, was der Feind plötzlich für eine Licht um sie herum strahlen lässt, wenn sie füreinander beten. Versuch zum Beispiel Ihnen zu sagen, dass sie erst miteinander beten können, wenn sie völlig einer Meinung sind. Das nützt uns.
Den Pfarrern kann man übrigens nicht genug sagen, dass sie Kraft Ihres Studiums der historisch-kritischen Theologie auf möglichst viele Dinge vertrauen sollen, vor allem auf sich selber, aber möglichst nicht auf die Liebe und Kraft des Feindes. Recht haben und theologische Gebäude sind immer wichtiger als Lebensfreude und Lebenshilfe. Sag ihnen wie wichtig sie sind, wie speziell sie ihre Ordination macht. Sorge dafür, dass sie deswegen zuviel arbeiten, auch wenn sie ihre Freunde verlieren, ihre Ehe zerbricht oder sie todkrank werden. Wer Gottes Wahrheit auf seiner Seite hat, darf auch laut und unhöflich werden. Das nützt uns immer. Wenn sie sich für ihr Gefühl sinnlos für den Feind aufopfern, wächst in ihnen ein Hass, der für uns Früchte trägt. Nützlich sind Dir aber auch die, die nichts vorbereiten, sich vor der Arbeit drücken und jede Plauderei als Seelsorge verkaufen. Ich liebe die Pfarrer, die sich in jeder Runde wichtig machen, keinem zuhören, ihre Extra-Würste einfordern, und alles besser wissen. Wie gesagt, wir haben der Kirche Kritik mit Erfolg als böse Aggression verkauft.
Mein lieber Neffe, wenn du obiges beherzigst, wirst Du Erfolg haben. Gönn dir des Abends eine halbe Stunde auf der Lügen-Flöte. Das entspannt und du kannst es auch noch als alter Teufel anwenden. Ach ja… Teuflischer Krach. Lärm – unsere Sehnsucht. Kreischen und Geschrei, was für ein Vergnügen.
Lass die Menschlein über Kleinigkeiten jammern, lass ihnen nie den Gedanken kommen, dass sie der Feind vielleicht an einen viel gefährlicheren Abschnitt der Front stellen würde, wenn sie sich in Freundschaft, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, gemeinsamem Gebet, Disziplin, Lebensfreude und Humor üben würden. Wie schon der menschliche Stratege SunTzu gesagt hat: Zerstöre den Feind von innen. Lass bloss nicht zu, dass den jemand liest.
Mögen alle Lügengeister und Angstgefühle Dir beistehen
Dein Onkel Screwtape
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