Ringen mit Gott – Jakob am Jabbok

Kennen sie noch die Geschichte von Jakob und seinem Bruder Esau? Sie waren Zwillinge, die Kinder von Isaak und Rebekka. Esau war der ältere von beiden, allerdings nur ein paar Sekunden, denn Jakob kam gleich nach Esau zur Welt und hatte die Ferse seines Bruders Esau in der Hand. Der Name Jakob heisst eigentlich: „Gott beschützt“. Aber im Hebräischen klingt das ganz ähnlich wie Fersenhalter, Überlister, Verdränger, Betrüger.

Esau war so, wie man es von den Männern immer wieder erwartet hat: Rauh, behaart, Jäger, Wanderer, ein starker Esser. Jakob war für damalige Begriffe ein Lackaffe: Sauber, glatt wie ein Pfirsich, steter Gast in Mamas Küche und lieber bei den Zelten im Schatten. Dann kam die Geschichte mit dem Linsengericht. – Esau gibt sein Erstgeburtsrecht, das ganze Erbe für ein Essen hin, als er einmal furchtbar hungrig nach Hause kommt. Nicht, dass das wirklich rechtskräftig gewesen wäre, aber für Jakob (und seine Mutter Rebekka) war es Grund genug, sich als Esau verkleidet durch Isaak segnen zu lassen. Aber was hat es ihm gebracht? Er musste vor dem Zorn seines Bruders fliehen. In seinem Onkel Laban fand er seinen Meister. Der legte ihn rein, indem er ihn zuerst sieben Jahre für ihn arbeiten liess und dann mit Lea verheiratete, nicht mit Rahel. Für Rahel musste er nochmals sieben Jahre heiraten. (Arme Lea, mit ansehen zu müssen, wie sich der Mann abrackerte, damit er die Schwester heiraten konnte…) Jakob hat trotzdem wirtschaftlichen Erfolg, aber auch der ist wieder ertrickst. Er trickst um sein Leben. Sie sehen, es geht gar nicht heilig zu, auch nicht bei den Stammvätern des Volkes Israel.

Nach langen Jahren will wieder in das Land ziehen, das Gott seinem Grossvater Abraham und seinem Vater Isaak versprochen hatte. – Mit seiner grossen Familie und all seinem Besitz. Das hiess in diesem Falle mit den Herden. Denn für Nomaden und Halbnomaden sind die Herden alles. Aber wie begegnet er seinem Bruder?

Er wandert der Heimat entgegen. Er hört, sein Bruder komme ihm entgegen, aber mit 400 Bewaffneten. Das ist in einem Familienstreit eine ziemliche Armee. Um Esau zu besänftigen, schickt Jakob ihm Teile seiner Herde als Geschenk entgegen. Er kommt zum Fluss Jabbok, auf der anderen Seite liegt die Heimat. Jakob lässt lagern. So weit, so unruhig. Jakob will die Entscheidung und er will sie doch nicht, er scheucht alles wieder auf. Die Herde, die Angestellten, die Frauen mit den Kindern sollen schon über den Fluss ziehen. Es war in der Gegend nichts ungewöhnliches einen Teil der Nacht für die Reise zu nutzen. Aber Jakob bleibt zurück. Noch kann er nicht. Es ist Nacht.

Genesis 32, 23-33
23Noch in jener Nacht aber stand er auf, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde und seine elf Kinder und ging durch die Furt des Jabbok. 24Er nahm sie und brachte sie über den Fluss. Dann brachte er hinüber, was er sonst noch hatte. 25Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte heraufzog. 26Und er sah, dass er ihn nicht bezwingen konnte, und berührte sein Hüftgelenk, so dass sich das Hüftgelenk Jakobs ausrenkte, als er mit ihm rang. 27Und er sprach: Lass mich los, denn die Morgenröte ist heraufgezogen. Er aber sprach: Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich. 28Da sprach er zu ihm: Wie heisst du? Und er sprach: Jakob. 29Da sprach er: Du sollst nicht mehr Jakob heissen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten und hast gesiegt. 30Und Jakob fragte und sprach: Bitte nenne mir deinen Namen. Er aber sprach: Was fragst du nach meinem Namen? Und dort segnete er ihn. 31Und Jakob nannte die Stätte Peniel. Denn, sagte er, ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin mit dem Leben davongekommen. 32Und als er an Penuel vorüber war, ging ihm die Sonne auf. Er hinkte aber wegen seiner Hüfte. 33Darum essen die Israeliten bis auf den heutigen Tag den Muskelstrang nicht, der über dem Hüftgelenk liegt, denn er hat Jakobs Hüftgelenk, den Muskelstrang, angerührt.

Ja, da erzählt die Bibel salopp: Jakob blieb allein zurück. Da kämpfte ein Jemand mit ihm, bis zum Morgengrauen. Wissen sie, wie sich das anfühlt, wenn man plötzlich angegriffen wird? Ich wünsche es ihnen nicht. Man erschrickt fürchterlich. Ich habe das im KungFu erlebt. Auch wenn man vom besten Trainingskameraden angegriffen wird, erschrickt man. Die ersten Bruchteile von Sekunden denkt man noch: „Was? Wieso?“ Und dann wäre es im Ernstfall zu spät. Man muss lange trainieren, um richtig zu reagieren, die Gegenwehr muss tief ins Hirn trainiert werden, unter Stress hat das Hirn nur Zugriff auf gut gespeicherte Dinge. Und bei einem Angriff gibt es zwei Wege: Kampf oder Flucht. Und Jakob ringt. Die ganze Nacht. Er kämpft gut, bis gegen Morgen der andere zu einem finalen Schlag ausholt, er trifft Jakob an der Hüfte, er renkt ihm die Hüfte aus, Jakob verliert den Stand. Mein Trainer sagt immer: Bloss nicht zu Boden gehen. Denn in einem Kampf auf Leben und Tod verliert man am Boden das Leben.

Kennen sie solche Kämpfe… im Inneren? Kennen sie das Dunkel ringsum, das Ringen, das im Kreis Denken, ein rätselhafter Gegner, Angst, Zweifel, Trauigkeiten, und die Frage: Wo ist Gott? Ist das Gott, der mich bekämpft?

Dann wird es hell. Und der Gegner sagt: Lass mich los. Der Jemand will weg, er will ihn liegenlassen, ohne sich zu zeigen. Jakob soll liegenbleiben. Wer sagt denn, dass ihm das hell werden nützt, dass er das überlebt, wer sagt denn, dass der Jemand in der nächsten Nacht nicht wiederkommt? Aber Jakob gibt nicht auf, bevor er zu Boden geht, klammert er sich an seinen Gegner. Mit der letzten Kraft wirft sich Jakob der Lügner, der Betrüger, auf seinen Gegner. Jetzt hilft nichts mehr, jetzt muss er durch. Und er sagt: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. – Ich lasse dich nicht los, bevor du mich segnest. Er spürt, dieser übermächtige Gegner ist Gott. Gott, der ihn nicht in die Heimat lässt, Gott der ihn nicht mit seinen Betrügereien vor seinen Bruder treten lässt.

Manchmal ringen wir so gegen Gott, fragen, schreien, wollen wissen, wieso wir im Dunkeln sind, wieso wir nicht weiterkommen, wieso er nicht mehr der liebe Gott ist.

Ich glaube, wir haben im Leben immer die Wahl. Wir können zu Gott hin oder von Gott weg. Wir können von Gott weg, weil er sich nicht um uns kümmert, oder weil er so böse und strafend scheint. Wir können von Gott weg, weil die Pfarrer zu oft einen Bappeli und eine Witzfigur und einen lieben Gott aus ihm machen. Wir können zu Gott, weil er das Leben selber scheint, oder gnädig und liebevoll. Oder… wir können zu Gott hin, damit er uns nicht los wird, obwohl er viel zu gross erscheint. In dem Moment, wo er uns riesig und vernichtend erscheint, dann wenn wir uns fallen lassen könnten, wenn wir aufgeben könnten, wenn wir vor der Vernichtung stehen. Nur noch weil wir es wollen, können wir uns mit einem Wutschrei auf Gott werfen und uns an Gott festklammern: DU kannst mich vernichten, aber dann musst DU es tun. Ich lasse dich nicht los, ich höre nicht auf, dich zu loben und zu dir zu halten und zu glauben und zu hoffen. Nein. Du schaffst es nicht, mich von dir zu vertreiben. Ich kann nichts anderes mehr bieten, ich stelle keine Ansprüche mehr, ich habe nichts zu bieten, aber du wirst mich nicht los. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

Ja, lieber etwas Trotz, statt Aufgeben. Statt dass wir uns beklagen, dass Gott uns alleine lässt, können wir beschliessen, dass Gott uns nicht loswird. „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

Und dann? Gott stellt eine Frage. – Wie heisst du? Und mit dem Namen kommt das ganze Leben vor Gott. Jakob, der Betrüger und Betrogene, Jakob hat gelogen und ist verletzt worden, Jakob, der in die Heimat will. Jakob, der Angst hat. Sein ganzes verkacheltes Leben liegt mit seinem Namen offen da.

Das gehört auch dazu, wenn wir mit Gott zu tun haben wollen: Wir müssen unser Leben ehrlich anschauen. Das tut grauenhaft weh. Aber lieber stellt sich Gott selber mir in den Weg, lieber lasse ich mir von Gott selber Narben schlagen, soll Gott mich Umwege laufen lassen, lieber stehe ich kurz vor dem gelobten Land (oder was ich dafür halte), als dass ich noch länger mit Lügen leben. Lieber ringe ich mit Gott, als dass er mich mit Lügen Erfolg haben lässt, denn das… wäre schon die Hölle auf Erden.

Was tut Gott, der Sieger? Gott gibt Jakob einen neuen Namen. Aus Gnade, aus Erbarmen, aber erst nachdem Jakob seinen Namen, sein Leben bekennen musste. Und weil er nicht aufgegeben hat. Gott sagt: Du sollst nicht mehr Jakob heissen sondern Israel. (das heisst, Gott herrscht.) Denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist Sieger geblieben.
So erhält Jakob einen neuen Namen und ein erneuertes Leben.

Doch drückt die menschliche Neugier durch: Jakob fragt: „Sag mir doch auch deinen Namen. Er aber sagte: Wieso fragst du nach meinem Namen. Und er segnete ihn dort.“ Und Jakob zog bei Sonnenaufgang über den Fluss und in die Heimat. Verändert. Er hat an Wichtigkeit verloren und an Wert gewonnen. – Jakob hat gekämpft, er hat sich geweigert aufzugeben, er hat sich verändert, er bekommt einen neuen Namen, Gott segnet ihn, und er darf in seine Heimat, wo er Frieden mit seinem Bruder schliessen wird. – Das trotzige Festhalten ist gesegnet worden. Gott will nie unsere Vernichtung. Nie. Nur die falschen Ansprüche und Lebenslügen, die kassiert er.

Ich komme zum Schluss. — Ich bin einer Predigt zu dieser Geschichte zum ersten Mal bei Dietrich Bonhoeffer begegnet. Er hatte eine Konfirmandenklasse in einer armen Gemeinde in Berlin übernommen. Und seine Konfirmanden hatten ihn gebeten darüber zu predigen, ob es einen Sinn im Leben gibt. Und er hat ihnen 1932 über diese Geschichte von Jakob am Jabbok die Sätze gepredigt: „Keiner soll Euch je den Glauben nehmen, dass Gott auch für Euch einen Tag und eine Sonne und eine Morgenröte bereitet hat, und dass er uns dieser Sonne zuführt, die Christus heisst; dass er uns das gelobte Land sehen lassen will, in dem Gerechtigkeit und Friede und Liebe herrscht, in dem Christus herrscht, hier nur von fern, einst aber in Ewigkeit.“ – Damals habe ich gedacht: Das will ich auch! Jungen Menschen von Christus erzählen, obwohl die Welt das Gute so oft hasst. Das Gute nie loslassen, auch wenn die Welt Krieg führt. Gerade weil die Nazis Bonhoeffer im KZ ermordet haben und die meisten seiner Konfirmanden gefallen sind. Weil mein deutscher Grossonkel an die Ostfront musste und mein Grossvater an andere Fronten. Weil so viele Menschen leiden. – Wenn Ihnen das zu kitschig klingt: Einverstanden. Das braucht es am Anfang und zum Start. Und es war erst der Anfang. Später habe ich gelernt, dass auf dem Weg in das Land von Friede, Liebe und Gerechtigkeit, Gott nicht dazu da ist, die anderen zu verändern, sondern mich.

Und wenn auch Menschen viel Böses auf dieser Welt anrichten, habe ich eine Hoffnung: Wie Jakob bei Sonnenaufgang den Fluss überschreitet und in die Heimat einzieht zur Versöhnung mit dem Bruder, so werden wir dereinst in den Himmel einziehen dürfen, wo die vollendete Versöhnung wartet. Wo die warten, um die wir trauern, wo Gott abwischen wird alle Tränen, wo kein Schmerz mehr sein wird. Und niemand kann uns diese Hoffnung nehmen, wenn wir sie haben. Und so hoffe ich, dass sie mithelfen, dass wir einander den Weg zu dieser Kraft zeigen, die erneuert, die Feinden vergibt, damit Hass und Schmerz aufhören. Diese Kraft, die kommt, wenn man sagt: „Ich lasse dich nicht, bevor du mich segnest.“ Gott, Miich wirsch Du nöd los! Amen

1 Kommentar

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert