Kleider machen Leute

Ich bin vor ein paar Monaten von einem Engländer nach einer Beerdigung gefragt worden, ob die Schweizer zu Beerdigungen keine schwarzen Anzüge und Krawatten mehr tragen würden. Er sei an einer anderen Beerdigung der einzige Mann mit (schwarzem) Anzug und Krawatte gewesen.

Ja, das ist so. Es gibt keinen Dresscode mehr. Es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens mehr, was „man“ zu einer Beerdigung anzieht.

Leute, die ich als Jugendlicher bewundert habe, haben mich gelehrt, zu einer Beerdigung einen schwarzen Anzug zu tragen. Man trägt eine schwarze Krawatte, wenn man mit der verstorbenen Person eng befreundet oder verwandt war. Das passt nicht jedem Mann. Es bedeutet Aufwand, einen passenden, schwarzen Anzug, ein weisses Hemd und ein paar passende Krawatten bereit zu halten. Es ist Aufwand, eine Krawatte zu binden und ein Paar schwarze Halbschuhe zu putzen. Ja, und genau diesen Aufwand betreibe ich als Zeichen dafür, dass mir der Anlass etwas wert ist. Genau dadurch wird er mir zu einem besonderen Anlass. Und ich fühle mich mit den anderen Menschen verbunden, die das auch so pflegen.

Was ist mit jemandem, der im Hawaii-Hemd an eine Beerdigung kommt? Als ich das vor Jahren erlebt habe, hat es mich gestört. Heute würde ich sagen, wenn das Hawaii-Hemd bewusst getragen wurde, wenn es an einen Anlass erinnert, oder den Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen verbindet, dann soll es mir recht sein. Ebenso wie jemand, der überlegt und dann im Sinne der verstorbenen Person eine farbige Krawatte trägt. Oder ein weisses Kleid.

Wir leben mit weniger Zwängen als vor vierzig Jahren. Dafür müssen wir mehr überlegen. Früher war es gegeben, was man angezogen hat, heute hat man die Qual der Wahl, kann aber mit der Kleidung eine Beziehung zur verstorbenen Person ausdrücken. Wir dürfen gestalten und sorgfältig wählen. Tun wir es nicht, ist das auch eine Aussage. So gehört Verantwortung zur Freiheit dazu.

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