Was man in der Kirche lernen kann
Am eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag bin ich zum ökumenischen Gottesdienst in die katholische Kirche von Rudolfstetten, gleich auf der anderen Seite des kleinen Waldes, an dem mein Pfarrhaus steht. In der Sakristei traf ich den katholischen Kollegen und ein paar Kinder. Davon zwei Mädchen, die zum ersten Mal Ministrantendienst hatten. Die Kinder hatten ihre Schuhe und Gewänder und ihre Aufgaben. Kurz vor Beginn des Gottesdienstes stellten wir uns an der Türe in der richtigen Reihenfolge für den feierlichen Einzug auf. Die Kinder stupsten sich, oder flüsterten und lachten leise, aber sie waren aufmerksam und bereit. Es schlug zehn Uhr. Der katholische Kollege drehte sich zu den Kindern um, schaute sie verschmitzt an und flüsterte: „Showtime!“
Nach dem Gottesdienst dachte ich: „In der Kirche kann man auftreten lernen. Sorgfältig gemachte Kirche ist Kunst und Kultur.“
Wieso? Der Auftritt und die Arbeit in einem Gottesdienst ist wie ein Auftritt auf der Bühne, ein Kurs im Auftreten, in Manieren, in Zivilisation, in Rhetorik. Wie in einem Chor lernen die Kinder aufeinander und auf andere zu achten, still zu sein, abzuwarten, zuzuhören, den Moment nicht zu verpassen. Ja, vielleicht ist es für ein Kind auch einmal langweilig, aber das kommt später immer wieder vor. Sei es in der Armee oder am Flughafen oder in Arztpraxen.
In der Kirche kann man den Auftritt vor anderen Menschen üben. Mit reden, musizieren, singen, vorlesen. Nicht nur auf Schweizerdeutsch, sondern auch in Schriftdeutsch oder bei Gelegenheit in anderen Sprachen. Es ist ernst gemeint, aber es ist keine grosse Firma, keine Bewerbung und kein Auftritt vor den Medien. Das Lampenfieber ist echt, aber die Zuhörer sind wohlwollend. Die Aufregung ist echt, aber niemand wird es bereuen, wenn er mit Aufregung leben lernt. Kleine Fehler können vorkommen, Gottesdienste halten das aus. Es sind an einem normalen Sonntag fast nur Senioren da? Gut, dann üben beteiligte Kinder, klar, langsam und deutlich zu sprechen. Das ist auch an anderen Orten für Zuhörer ein Segen.
Wirkt das elitär und unnötig? Nein. Wer findet, er könne in fast jeder Kleidung ohne grosse Vorbereitung mit Schweizerdeutsch vor jedes Publikum treten, der täuscht sich. Wer ohne Aufwand einen speziellen Moment im Leben feiern will, der verpasst etwas. Es tut uns gut, Orte heilig zu halten, Tage und Zeiten zu heiligen und zur rechten Zeit einen Aufwand zu betreiben mit speziellen Gewändern, Musik, und einem Auftritt gut vorbereiteter Menschen auf einer Bühne. Genau dieser Aufwand ist… Kultur und Zivilisation.
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